»Also sprach beim Abendmahle« (GL 281)
Wer dieses Lied im Gotteslob aufschlägt, sieht auf einer Doppelseite zweimal die gleiche Melodie, allerdings mit zwei verschiedenen Liedern für die Heilige Woche. Links steht das Lied „Singt dem König Freudenpsalmen“ für den Palmsonntag, rechts „Also sprach beim Abendmahle“ für den Gründonnerstag.
Die alte Melodie ist in vielen Gegenden fest mit dem Palmsonntag verbunden, weil „Singt dem König Freudenpsalmen“ (1783) an diesem Tag zur Palmprozession gesungen wird. „Also sprach beim Abendmahle“, ein Text des katholischen Publizisten Georg Thurmair (1963), weitet die Thematik der Heiligen Woche bis zum Gründonnerstag. Während jedoch das Palmsonntagslied vom Charakter eines Erzählliedes – Jesu Ankunft vom irdischen bis zum himmlischen Jerusalem – geprägt ist, widmet sich das neue Lied von Thurmair (1909–1984) nur einem einzigen Gedanken. Es geht um die Einheit der Jünger Jesu – mit Stichworten wie „seid geeint“ und „eins zu sein“ (Strophe 1), „bleibt geeint“ (Strophe 3) und „wenn ihr einig seid“ (Strophe 4).
Inspiriert ist dieses Lied hauptsächlich vom Johannesevangelium, obwohl dort gar nicht vom Abendmahl berichtet wird. Der Dichter greift Jesu Abschiedsgebet auf: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich.“ (Johannes 17,21–23)
Strophe 1 nennt Jesu „Testament“ – im Lateinischen heißen die Abendmahlsworte auch „verba testamenti“ – und gründet die Einheit der Menschen untereinander und mit Jesus in der göttlichen Einheit Jesu mit dem Vater.
Die zweite Strophe deutet den Gedanken vom Aspekt der Liebe, wiederum ein johanneisches Grundmotiv, und verknüpft ihn mit dem Bild vom Weinstock und den Reben (Johannes 15,5). Die dritte Strophe „orchestriert“ das Thema mit zwei weiteren Motiven des vierten Evangeliums: Das „Bleiben“ (Johannes 15,9: „Bleibt in meiner Liebe“) und der „Gute Hirt“ (Johannes 10,11); nun wird auch der Heilige Geist als Prinzip der Einheit genannt.
In der dritten und vierten Strophe „kontrapunktiert“ Georg Thurmair, der insgesamt etwa 300 Liedtexte verfasst hat, die Botschaft des Johannesevangeliums mit einigen Motiven des Apostels Paulus. Die geistig-geistliche Gemeinschaft der Christen (Koinonia) verdankt sich dem Heiligen Geist, der Geist der Liebe (Strophe 3) sowie des Glaubens und Hoffens (Strophe 4) ist. Ein sehr biblisches Lied also! Neben den vielen alten Liedern, die nur den Dialog zwischen „Jesus und Ich“ kennen, ist dies ein Lied, das die Gemeinschaft betont. Der Autor hat seine geistigen Wurzeln in der Jugendbewegung, der das gemeinsame Singen wichtig war. Vor allem aber war ihm die christliche Einheit zur Zeit des Nationalsozialismus das durchaus widerständige Gegenbild zur herrschenden Ideologie, der Thurmair konsequent ablehnend gegenüber gestanden hat, was die Gestapo entsprechend vermerkte.
„Also sprach beim Abendmahle“ ist ein im guten Sinne ein-seitiges Lied. Es betont das „Wir“ und nicht das „Ich“, außerdem die „Einheit“ und nicht die damit zusammenhängende „Vielfalt“ etwa der Gnadengaben. Auch der Sprachstil ist vom ersten Wort „Also sprach“ an nicht an einer heutigen Zeitgenossenschaft orientiert, sondern der Tradition verpflichtet.
Meinrad Walter