»Selig, wem Christus auf dem Weg begegnet« (GL 275)
Um 1970 ist dieser vierstrophige Text in einem klösterlichen Kontext entstanden. Die Ordensgemeinschaften standen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor der Aufgabe, deutsche Versionen des zuvor lateinischen Stundengebets zu erarbeiten. Dafür wurden Arbeitsgruppen gebildet. Bernardin Schellenberger (geb. 1944) hat als Mitglied eines Teams zur Schaffung neuer Hymnen etwa hundert solcher Beiträge verfasst. Das Versmaß war in der Regel vorgegeben, weil die neuen Hymnen auf alte, bisweilen etwas vereinfachte Melodien gesungen werden sollten. Beim Inhalt entschied der Autor sich dafür, nicht nur „objektive Wahrheiten“ zu nennen, sondern „das konkrete Leben“ mit einzubeziehen. Der ursprüngliche liturgische „Sitz im Leben“ dieses Gesangs war also das monastische Stundengebet, näherhin die Tagzeitenliturgie an Gedenktagen für selig- oder heiliggesprochene Ordensleute.
Gleich die erste Strophe führt uns direkt in eine biblische Situation. Um eine Berufungsgeschichte geht es – was ja ein Thema nicht nur für Ordensleute, sondern für alle Christen ist. Jesus trifft Menschen auf ihrem Lebensweg und ruft sie in seine Nachfolge mit knappen, aber eindringlichen Worten wie „Auf, mir nach!“ Der Kommentar zur Situation ist gebündelt in einem einzigen Wort, das einen großen biblischen Resonanzraum eröffnet, von den Psalmen über Jesu Bergpredigt bis zu der visionären Schilderung der Offenbarung des Johannes: „Selig!“ Dieser Hymnus ist also eine Seligpreisung der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu.
Verschiedene biblische Aspekte der Nachfolge Christi kommen zur Geltung: das Verlassen alles Irdischen bis hin zur Kreuzesnachfolge (Strophe 1) sowie Wüstenerfahrungen und Gemeinschaft (Strophe 2). Die dritte Strophe nennt einen wichtigen verkündigenden Aspekt: die Worte und Taten der Nachfolgenden machen Christi Botschaft lebendig. Ja, die Nachfolgenden sind zu allen Zeiten Boten des Gottesreiches. So wird ein Stück des Reiches Gottes schon heute Gegenwart. Dessen endgültige Zukunftsdimension besingt dann die letzte Strophe: „… dein Reich wird kommen“.
Im Gotteslob steht dieser Hymnus unter der Rubrik „Österliche Bußzeit“, was durch die Thematik Nachfolge und Umkehr nahe liegt. Im Lesejahr B gibt es allerdings kurz vor der Fastenzeit schon einen Sonntag, der für die Einführung dieses Liedes besonders geeignet ist: der 3. Sonntag im Jahreskreis. Hier hören wir das Markus-Evangelium mit Jesu Wort: „Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“ (Markus 1,17) Mitsamt der klaren Antwort: „Sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm.“ (Markus 1,18) Die erste Lesung handelt vom Weg des Propheten Jona nach Ninive (Jona 3), die zweite von der „Gestalt dieser Welt“, die vergeht (1 Korinther 7), und der Antwortpsalm beginnt mit der Bitte „Zeige mir, Herr, deine Wege; lehre mich deine Pfade!“ (Psalm 25,4) Von der Nachfolge handelt auch der Kommunionvers „Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis gehen. Er wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8,12)
Warum sollen wir da nicht gleich den Eröffnungsvers dieses Sonntags ernst nehmen – „Singet dem Herrn ein neues Lied, singt dem Herrn, alle Lande“ (Psalm 96,1) und diesen Hymnus „Selig, wem Christus auf dem Weg begegnet“ neu einführen? Besonders geeignet wäre dazu auch eine Liedpredigt, die der Prediger eigentlich nur zu einem Drittel noch schreiben muss, weil die Leseordnung die biblische Grundlage ja schon „komponiert“ hat und weil das Lied dazu die klingende Zusammenfassung bietet.
Meinrad Walter