»Du sei bei uns« (GL 182)
„Du sei bei uns in unsrer Mitte“ steht unter der Rubrik „Fürbittrufe“. Kein Strophenlied also, sondern ein Gesang mit nur zwei Zeilen, die wiederholt werden. Doch diese Wiederholung bringt nicht nur einen neuen Wortlaut – aus „sei du bei uns, Gott“ (1) wird „höre du uns, Gott“ (2) – sondern auch eine andere Musik: beim ersten Mal ein sich öffnender Schluss auf dem Ton e (harmonisch C-Dur), bei der Wiederholung dann das Einmünden in den Grundton d mitsamt der Grundtonart d-Moll.
Die Autoren
sind bekannte Musiker im Nebenberuf. Thomas Laubach (geb. 1964) ist Theologe mit dem Schwerpunkt Ethik und vielen bekannt durch seine Verkündigungssendungen im Rundfunk. Sein berühmtestes Lied ist „Da berühren sich Himmel und Erde“. Thomas Quast (geb. 1962) arbeitet heute, nach dem Studium der Rechts-, Musik- und Geschichtswissenschaft, als Richter. Ein besonders bekanntes Lied aus seiner Feder ist „Keinen Tag soll es geben“.
Gemeinsam ist beiden Autoren das langjährige Engagement für neue ökumenische Lieder in der Kölner Gruppe „Ruhama“. Dieser hebräische Name kommt aus dem Alten Testament und bedeutet „Erbarmen finden“. Über die Entstehung des Liedrufs berichtet Thomas Laubach: „‘Du sei bei uns‘ stammt ursprünglich aus ‚Ins gelobte Land. Ein Musikspiel zum Exodus‘ (1987). Das Musikspiel erzählt die Geschichte des Mose und des Auszugs aus Ägypten. Im vierten Akt ‚Die Wüste‘ treten Hunger, Durst und Tod als allegorische Figuren auf, die den Weg der Israeliten durch die Wüste begleiten. Die Verzweiflung der Umherirrenden angesichts dieser Gestalten mündet in die ‚Du-sei-bei-uns-Litanei‘. Der Liedruf ‚Du sei bei uns‘ ist der Refrain dieser Litanei, in der in vielen Anrufungen Gott um Hilfe und Beistand angefleht wird. Dabei wird auf den Gottesnamen ‚Ich bin der Ich bin da‘ angespielt. Jetzt in der Wüste und angesichts einer ausweglosen Lage wird Gott selbst auf diesen Eigennamen hingewiesen – und es wird gefragt, wie sich das Dasein Gottes denn zeigt.“
Einige Jahre später schuf Laubach zu einem Katholikentag die textliche Version „…höre du uns, Gott“, die sehr bekannt wurde. „Allerdings ist schon in der ursprünglichen Form das Bitten um Nähe und Beistand wie auch um das (Er)Hören angelegt. So heißt es in der dritten Strophe der Litanei: ‚Du höre uns in unsren Ängsten, höre du uns, Gott‘ (Thomas Laubach).“
„Mitgehen auf den Wegen“ und „Hören auf die Menschen“,
das sind zwei der vielen biblischen Namen Gottes. Schon die alttestamentlichen Beter der Psalmen erinnern immer wieder daran. Die Musik von Thomas Quast wird den Worten überaus gerecht. Der Ruf formt sich allmählich mit Beginn zunächst nach einer Pause (Takt 1 und 3), dann aber auf der schweren Taktzeit. Zudem wirkt die rhythmische Abwechslung als Intensivierung. Das Sich-Nahen Gottes „spiegelt“ sich gleichsam doppelt in der Musik: durch die absteigenden Quinten in der Harmonik (d-G-C-F) und durch die große Geste einer absteigenden Tonleiter ab dem dritten Takt. Der Schluss des ersten Teils lässt die Bitte noch „in der Schwebe“. Ist Gott schon bei uns? Ja, er ist, wenn er unseren Ruf hört!
In diesen Gesängen, die keine Strophenlieder sind, liegen große kirchenmusikalische Chancen. Insbesondere dann, wenn es darauf ankommt, ohne große Vorbereitung mit einer Gemeinde oder Gruppe zu singen. Wenn dann ein Kantor oder eine Kantorin diesen Ruf vorsingt und auf Tasten oder mit Gitarre die Begleitakkorde erklingen, wird die Wiederholung nicht schwer fallen.
Meinrad Walter