Wer glaubt, ist nie allein (GL 927)
Was glauben Sie eigentlich?
– Sicher haben Sie diese mit einem Augenzwinkern vorgebrachte provokante Frage schon einmal gehört. Und nicht zu Unrecht fragen wir uns – was können wir denn noch glauben, ohne einer zu spät erkannten Manipulation zu erliegen, falschen und kurzsichtigen politischen Versprechen aufzusitzen, schillernder Werbung zu verfallen oder uns von einseitigen Informationen beeinflussen zu lassen um enttäuscht festzustellen, dass letztlich wir „dran glauben mussten“?
Und nicht nur im öffentlichen Leben, auch in der Kirche verwirren manche extremen Strömungen, gibt es unterschiedliche theologische Meinungen, werden konservative und progressive Christen unterschieden, fühlen sich viele in ihrer theologischen Meinungsbildung alleingelassen. – Deshalb wiederhole ich mit einer anderen Facette: Was glauben Sie eigentlich?
Solange wir diese Frage allerdings so stellen, wird sie uns nicht viel weiterführen, denn Glaubensinhalte und Interpretationen sind diskutabel.
Ich ziehe es vor, eine neue Frage zu stellen: Wem glauben Sie?
Die Theologie unterscheidet zwischen dem „Dass-Glauben“, der sich um die Inhalte und Glaubenssätze sorgt und dem „Du-Glauben“, der sich an Gott als Person richtet und Glauben als wachstumsfähige Beziehung versteht. – „Wer glaubt, ist nie allein.“ – Dieses Lied aus dem Gotteslob greift die verlässliche Beziehung zu Gott auf, zu Christus, der in unserer Mitte ist. Glaubende sind nie allein, weil Christus seine Kirche um sich schart (die sich aus allen ernsthaft Suchenden zusammensetzt, die einander ermutigen und sich gemeinsam auf den Weg machen.)
Gott glauben
Die erste Strophe beginnt mit einem Bekenntnis: „Du bist Jesus, der Sohn Gottes, allen Menschen bist du nah.“ Die Verheißung Jesu in Mt 28 „Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt“ wird hier tröstend angesprochen. Dieses Nahesein bietet Beziehung an. „Zur Freundschaft lädst du uns ein“, zu einer Freundschaft, die unser Leben bereichert und die „Fülle“ schenkt. – Bleibende Fülle „in Zeit und Ewigkeit“.
Der klare kompromisslose Rhythmus des Liedes, in einem Metrum gesungen, das ans Wandern und Weiterziehen erinnert, lässt vor meinem geistigen Auge das Bild des pilgernden Gottesvolkes erstehen, das das II. Vatikanum geprägt hat und uns als Kirchenbild mittlerweile vertraut und lieb geworden ist. Dazu drängt sich das Bild des Hirten Christus auf, der die Aufgaben verteilt und somit alle in unterschiedlicher Form in die Verantwortung ruft.
Jede Strophe des Liedes endet mit der Formel „in Zeit und Ewigkeit.“ - Hier ermutigt die Melodie zum hoffnungsvollen Aufblicken und leitet zum Kehrvers über, der mit seinem einprägsamen Thema daran erinnert, dass bereits jetzt in der Gemeinschaft untereinander und mit Christus der Beginn von Hoffnung, Zuversicht und Freude erahnbar ist.
Die zweite Strophe verbindet Geschichte und Gegenwart. Petrus wird von Jesus selbst mit der Aufgabe betraut, Felsen, Menschenfischer und Hirte zu sein und jene, die sich verirrt haben, zusammenzuführen. Es ist tröstlich, dass Petrus in all seiner begrenzten Menschlichkeit von Jesus selbst die Berufung zum Ermutigen und zum Weiden seiner Herde erhält. – Der bereits vertraute Text in „Zeit und Ewigkeit“ erinnert daran, dass die Rolle des Hirten weitergegeben wurde in den jeweils Verantwortlichen der Kirchen.
Die dritte Strophe erinnert an die Ausweitung der Berufung. Auch heute willst du „Menschen, die dir folgen auf dem Weg, der Leben heißt.“
In einer Zeit, in der Verunsicherung, Gefahren, Kriegsmeldungen, Korruption und wirtschaftliche Engpässe die Medien und viele besorgte Gespräche bestimmen, in der „Zukunft und Hoffnung“ mehr denn je zu einer Metapher wird, zu der viele mit Faust sagen: „Die Botschaft hör ich wohl – allein mir fehlt der Glaube“, sendet Jesus durch seinen Geist immer noch den Ruf zur Nachfolge in die Herzen der Menschen.
Was bedeutet Nachfolge heute? Ich denke, aus der Beziehung zu Gott heraus Menschen in ihren verschiedenen Nöten zu begleiten, Traurige zu trösten, Verzagte zu ermutigen, mundtot Gemachten eine Stimme zu verleihen, an den Rand Gedrängte in die Gesellschaft einzuladen, letztlich durch unser Verhalten die Barmherzigkeit Gottes und die Gegenwart Jesu im alltäglichen Leben spürbar zu machen. Mit Papst Franziskus, der „radikale“ Reformen der Kirche anstrebt und in Gang setzt, befinden wir uns in guter Gesellschaft.
Dies führt uns zur vierten Strophe: „Du bist Hoffnung allen Menschen auf den Straßen dieser Welt.“ Vielleicht scheint uns heute die Bitte um Frieden und Einigkeit beinahe vermessen, doch Dialogbereitschaft, das ehrliche Suchen von Lösungsmodellen für Konflikte in der kleinen und in der großen Welt sind unerlässlich. Die Wahrheit, die uns befreit und neue Horizonte eröffnet, ist Jesus selbst. Die schützende Gegenwart Jesu kann uns befähigen, in Konflikten unseren Teil anzuschauen, - den, den wir verändern und so zu einem neuen Miteinander beitragen können.
Glaubens Fülle
Somit wird Christus die Tür zum Leben. Wer sich für den Glauben, für die persönliche Beziehung zu Christus entscheidet, muss nicht fürchten, etwas zu verlieren, sondern im Gegenteil – Jesus schenkt die Fülle. Reifer Glaube fordert also zu Verantwortung und Tragfähigkeit heraus und lässt uns spüren, dass Gott uns ernst nimmt.
Sollten Sie sich also bei der nächsten Enttäuschung fragen „Wem kann ich heute noch glauben?“ ergibt sich die Antwort aus unserer Sehnsucht: Ihm – denn: „Wer glaubt, ist nicht allein.“
Sr. Johanna Kobale, (Schwester vom Göttlichen Erlöser)