"Die Kirche steht gegründet" (GL 482)
Kirchenlieder sind eine musikalische Sprache des Glaubens. Viele Aspekte klingen dabei wie Obertöne mit, von Maria bis zu den Engeln, von Schöpfung bis Vollendung. Am Anfang dieses Chorals steht der Grundton des apostolischen Glaubensbekenntnisses. Der anglikanische Pfarrer Samuel John Stone (1839–1900) hat alle Themen des Credo in seiner 1866 erschienenen Sammlung "Lyra fidelium" in Lieder gefasst.
"The holy Catholic Church, the communion of Saints"
Das Thema der ursprünglich sieben Strophen ist der dritte Glaubensartikel: "The holy Catholic Church, the communion of Saints". Bereits im Jahr 1888 stimmte die dritte Lambeth-Konferenz der weltweiten Anglikanischen Kirche das Lied in Canterbury an. Sein Verfasser war Pfarrer in Hagerston und London.
Von einer imponierenden Frau des 19. Jahrhunderts erhielt das englische Original dann eine deutsche Übertragung. Die in Neuwied geborene und spirituell von der Herrnhuter Brüdergemeine geprägte Anna Thekla von Weling (1837–1900) war die Tochter einer schottischen Hofdame. Sie war in etlichen Sprachen zu Hause und las das Neue Testament im griechischen Urtext.
Bei einer Predigt des ehemaligen Rechtsanwalts Reginald Radcliffe widerfuhr ihr ein Bekehrungserlebnis, das ihrem Leben neue Richtung gab. Etliche Bücher hat sie unter dem Pseudonym Hans Tharau veröffentlicht. 1898 erschien ihre Übertragung unseres englischen Chorals erstmals in der Sammlung „Blankenburger Lieder“. Neben vielen caritativen Tätigkeiten, etwa in einem Bonner Lazarett im Deutsch- französischen Krieg 1870/71, hat sie in ihrem späteren Wohnort Bad Blankenburg das bis heute existierende Evangelische Allianzhaus gegründet. 28 Personen kamen dort im Jahr 1886 zur ersten Allianzkonferenz zusammen. In späteren Zeiten sollten es mehrere Tausend werden, die sich dort in ökumenischem Geist über die Einheit der christlichen Kirche austauschten.
Schöpfung und ErwählungUnd unser Lied? Die drei im Evangelischen Gesangbuch sowie im katholischen Gotteslob abgedruckten Strophen zeigen einen klaren Aufbau. Am Beginn steht der Ursprung der Kirche, ihre Gründung durch und in Christus. Nach der ersten Schöpfung ist die pfingstliche Kir chengründung eine "erneute Schöpfung". Zur Schöpfung tritt die Erwählung: Christus hat die Kirche zu seiner Braut erwählt und diesen neuen Bund mit seinem Blut besiegelt.
Auf diese Herkunft folgt eine vom Apostel Paulus inspirierte Skizze der kirchlichen Gegenwart. Alles ist auf einen Grundton gestimmt, nämlich auf die Einheit der Kirche. Das war ja das Lebensmotto der Verfasserin. Die dritte Strophe wendet sich der Zukunft zu, der Vollendung. Von der Schar der Erlösten ist in der Bibel die Rede: „Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und gen Zion kommen mit Jauchzen. Ewige Freude wird über ihnen sein“. Der Gesang dieses Liedes will ein Präludium jenes Neuen Liedes sein. In der Zeit öffnet sich ein Fenster der Ewigkeit. Wir sind zwar noch hier, aber „schon hier“ durch Christus verbunden mit der „seligen Gemeinschaft“ dort. Im Original wird das deutlicher als in der Gesangbuchfassung, weil die letzten Zeilen lauten: „Ihr hochbeglückten Geister, zu Jesus rufen wir, dass wir mit euch den Meister dort preisen für und für“.
Die Melodie ist älter als der Text. Komponiert hat sie 1864 der englische Komponist Samuel Sebastian Wesley (1810–1876). Der Bruder seines Großvaters war John Wesley, der Gründer des Methodismus. Den zweiten Vornamen verdankt Samuel Sebastian Wesley der Begeisterung seines Vaters Samuel, auch er war Komponist und Organist, für Johann Sebastian Bach.
Meinrad Walter