PERSPEKTIVENWECHSEL - ein Tagungsbericht
Es klang wie eine verschworene Truppe, die im Bildungshaus St. Virgil diskutierte, welche Art der Erneuerung aus dem Geist des christlich-jüdischen Dialogs die Kirchen nötig hätten. Es sei da noch viel zu tun, so die einhellige Überzeugung. Dabei ist die Sache eigentlich klar:
Sowohl in den programmatischen Grundlagentexten aller Kirchen als auch in der theologischen Wissenschaft sind Weichen seit Jahrzehnten gestellt: hin zu einer Wertschätzung des Judentums als Quelle der Verkündigung Jesu, als glaubende Weggemeinschaft mit dem Volk des Bundes hin zum Gott Israels und als tragende Grundfeste der christlichen Identität.
Und doch sind manche Stereotype und falsche Aussagen über das Judentum anscheinend unausrottbar, wie eine Reihe von Beispielen zu Beginn der Tagung am 21. November 2019 belegten. Sie dienen jeweils dazu, Jesus und den christlichen Glauben durch Abwertung des Jüdischen besonders lichtvoll hervorzuheben und als vollkommener und ethisch höher darzustellen. Genau diese Überheblichkeit ist natürlich auch die Quelle einer jahrhundertelangen Schuldgeschichte der Kirchen, die heute in einer Haltung der Buße und Bescheidenheit gegenüber den konkreten jüdischen Gemeinden ihren Ausdruck finden müsste. Doch das Bewusstsein dafür ist nicht überall vorhanden.
Fruchtbarmachen der "neuen" Sichtweise in der Praxis
Es ging an diesem Tag nicht darum, Irrwege und Unwissen zu beklagen, sondern konkret zu zeigen, wie eine wertschätzende Verbindung mit dem Judentum für den christlichen Religionsunterricht und für die kirchliche Verkündigung fruchtbar gemacht werden kann.
Detlef Hecking, Geschäftsführer des Katholischen Bibelwerks Schweiz (Zürich), hat als Hauptreferent (s)eine Buchreihen vorgestellt, in der die alttestamentlichen Sonntagslesungen und die Evangelien jeweils in ihrem jüdischen Kontext vorgestellt und aktualisiert werden (siehe Buchhinweise unten).
Die Judaistin Susanne Plietzsch (Salzburg) behandelte die unterschiedlichen Konzepte von „Tora“ im Judentum – einerseits die unveränderliche Weisung des Ewigen an Mose am Sinai und zugleich auch deren vielfältige konkrete Auslegung in der „mündlichen Tora“.
Die anschließende Diskussion zeigte, dass eine positive Würdigung der Guten Weisung – des „Gesetzes“ – in den Kirchen und unter den Christinnen und Christen noch weit weg liegt – obwohl für Jesus aus Nazareth neben seiner innigen Beziehung zum himmlischen Vater gerade die Tora die entscheidende Quelle seiner Verkündigung war.
Superintendent Olivier Dantine (Innsbruck) stellte sich der Frage nach der unausweichlichen Spannung, sich als Christin und Christ das Judentum anzueignen, ohne es zu vereinnahmen. Dantine bot auch Verstehenshilfen, das traditionelle Verhältnis „Verheißung-Erfüllung“ neu zu deuten, und zwar mithilfe der Formulierung von Frank Crüsemann „Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen“.
Der Liturgiewissenschaftler Peter Ebenbauer (Graz) analysierte anhand von Liedern der Adventzeit, welche schwarz-weiß Haltungen im Verhältnis des Ersten und Neuen Testaments darin zum Ausdruck kommen.
In einem weiteren Workshop mit der Liturgiewissenschaftlerin Ingrid Fischer (Wien) wurden drei prominente Texte der Osternacht – Exsultet, Orationen der AT-Lesevigil und Lobpreis und Anrufung Gottes über dem Taufwasser – in ihrem liturgisch-typologischen Gehalt gedeutet. Dabei traten Verbindungslinien von christologischen, soteriologischen und ekklesiologischen Aspekten hin zu den zugrunde liegenden jüdischen Heilsereignissen zutage. Fazit: Je besser die Feiernden das Erste Testament kennen, desto leichter und ergiebiger können sie diese Verbindungen und Verbundenheit (und sich selbst damit) identifizieren. Leider verschweigen die verwendeten Übersetzungen so manchen expliziten Israelbezug durch Kürzungen im Text bzw. durch die Auswahl der Lesungen.
In einer Arbeitsgruppe mit Pastoralassistentin Ingrid Leitner (Salzburg) wurden Modelle zur Feier der Heiligen Woche ausgetauscht und diskutiert, die mit der nötigen Sensibilität gegenüber Vereinnahmungsversuchen (Seder) und Schuldzuweisungen (Passion) gestaltet sind. Für den Religionsunterricht setzte eine Gruppe unter der Leitung von Pfarrerin Susanne Lechner-Masser (Salzburg) und dem Religionspädagogen Martin Jäggle (Wien) Markierungen für einen Weg, das Judentum altersgemäß zum Thema zu machen, ohne in vereinfachende Fallen oder folklorisierende Verirrungen zu geraten.
Eine breite Kooperation
Eine beachtliche Koalition von Organisationen hatte zu diesem Studientag nach Salzburg eingeladen. Jede brachte dadurch die Bedeutung des Anliegens für sich zum Ausdruck und trug teilweise auch mit Referentinnen und Referenten zu einer umfassenden Darstellung der Thematik bei: Österreichisches Liturgisches Institut; Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit; KPH Edith Stein, Institut für Fortbildung; KPH Wien, Institut für Fortbildung, evangelisch; Ökumene-Referat, Liturgie-Referat und Bibel-Referat der Erzdiözese Salzburg; von der Universität Salzburg der Fachbereich Praktische Theologie und das Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte; die Evangelische Superintendenz Salzburg und Tirol und das Bildungshaus St. Virgil.
Mein Fazit
Es war ein Seminartag, der in seiner Breite und Dichte viele Dimensionen des Themas exemplarisch aufzeigte und in jedem Bereich konkrete Impulse für die Praxis eröffnete. Zu zwei ausgewählten Themen konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jeweils in vertiefende Auseinandersetzung und Praxisbeispiele einsteigen. Eine Durchführung dieses Konzepts auch in anderen Regionen unseres Landes ist dringend zu wünschen.
Markus Himmelbauer
Dokumentation
Die Redaktion der Zeitschrift "Heiliger Dienst" bemüht sich um eine Dokumentation des Hauptvortrags für Heft 3/2020 (erscheint im Spätsommer 2020). Weitere Informationen unter www.liturgie.at
Literaturhinweise
Schweizerisches Katholisches Bibelwerk (Hrsg.): „Damit sich die Schrift erfüllt …“ Die Sonntagsevangelien als jüdische Texte lesen. Lesejahr A. Paulus Verlag Freiburg (Schweiz) 2016; (Lesejahr B 2017; Lesejahr C 2018). | ||
Schweizerisches Katholisches Bibelwerk (Hrsg.): Die siebzig Gesichter der Schrift. Auslegung der alttestamentlichen Lesungen. Lesejahr A. Paulus Verlag Freiburg (Schweiz) 2013; (Lesejahr B 2014, Lesejahr C 2015) | ||
Christliche und jüdische Schriftauslegung, in: Bibel und Kirche 4/2019. Katholisches Bibelwerk (T: +43 1 516 11 1560; E: sekretariat@bibelwerk.at) | ||
Paul Petzel, Norbert Reck (Hrsg.): Von Abba bis Zorn Gottes. Irrtümer aufklären – das Judentum verstehen. Im Auftrag des Gesprächskreises Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Würzburg: Patmos Verlag, 2. Aufl. 2017. | ||
Markus Himmelbauer, Martin Jäggle, Roman A. Siebenrock, Wolfgang Treitler (Hrsg.): Erneuerung der Kirchen. Perspektiven aus dem christlich-jüdischen Dialog (Quaestiones disputatae, Band 290). Freiburg: Herder Verlag 2018. |
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Norbert Reck: Der Jude Jesus und die Zukunft des Christentums. Zum Riss zwischen Dogma und Bibel. Ein Lösungsvorschlag. Mainz: Grünewald Verlag 2019. |