Das Buch der Bücher in der Liturgie Überlegungen zum gottesdienstlichen Gebrauch einer Verkündigungsbibel
Abstract HlD 70 (2016) 128–140
Zu den charakteristischen Grund-optionen der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils und der darauf fußenden Liturgiereform zählt die Aufwertung der Schriftverkündigung. Die wohl prominenteste Frucht des Bestrebens, den „Tisch des Gotteswortes reicher“ zu bereiten (Sacrosanctum Concilium [SC] Art. 51), ist die erneuerte und deutlich erweiterte Leseordnung für die Messe. Gerade an diesem Ordo Lectionum Missae [OLM] entzündet sich zugleich eine rege Diskussion zwischen Liturgiewissenschaft und Exegese um die Frage, wie sich bibeltheologische Optionen und die Eigenlogik liturgischer Riten zueinander verhalten. Während die Exegese mehr und mehr den Kanon als maßgebliche Bezugsgröße entdeckt, hat es die Liturgie per se mit Perikopen, „ringsherum beschnittenen“ Schrifttexten, zu tun. Die Prinzipien „Kanon“ und „Perikope“ scheinen in scharfem Gegensatz zu stehen. Als buchtechnischer Brückenschlag wird die Verkündigungsbibel oder Lesungsbibel ins Spiel gebracht: Gemeint ist damit ein Buch, das den vollständigen Text der Heiligen Schrift enthält und ihn graphisch so aufbereitet, dass die zur Verkündigung vorgesehenen Perikopen hervorgehoben sind und direkt aus der Vollbibel vorgetragen werden können. Im französischsprachigen Raum ist jüngst erstmals eine vollständige Bibelübersetzung für den liturgischen Gebrauch erarbeitet worden. Dieses Projekt könnte inspirierend sein für entsprechende Überlegungen auch im deutschsprachigen Raum. Im Folgenden sollen einige historische, theologische und pastoral-praktische Aspekte zur Verwendung einer Verkündigungsbibel in der Liturgie angerissen werden.
Univ.-Prof. Dr. Alexander Zerfaß ist seit Oktober 2015 Professor für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg.