Die Sequenz Dies irae, 1570 verbindlich in die römische Totenmesse aufgenommen, entfaltete eine weit über die katholische Kirche hinausgehende und bis heute feststellbare kulturelle Wirkung. Seit dem Bildungsbürgertum des frühen 19. Jahrhunderts als Angst und Schrecken
einflößend wahrgenommen, wurde die Sequenz nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wieder aus der Totenliturgie eliminiert, weil sie die österliche Hoffnung auf Erlösung zu verdunkeln schien – zu unrecht, wie eine Analyse von Form und Inhalt zeigt: Der Gesang ist ein Stück biblisch fundierte, persönlich gewendete Rechtfertigungstheologie.
Prof. Dr. Ansgar Franz
ist Professor für Liturgiewissenschaft und Homiletik an der Johannes Gutenberg-
Universität Mainz und Leiter des Mainzer Gesangbucharchivs.