Schon in den ältesten Schichten des Gregorianischen Chorals finden sich nicht wenige Gesänge, die im weitesten Sinn als „marianisch“ bezeichnet werden können, vor allem in der Tagzeitenliturgie. Mit den Methoden der Allegorese werden biblische Texte auf Maria bezogen, z. B. auf ihre Rolle im Heilsmysterium. Besondere biblische Textquellen sind Psalm 45 (44) und das Hohelied. Hoheliedantiphonen nehmen schon im 10. Jh. einen prominenten Platz im Offizium ein. Von großer Bedeutung werden im Hoch- und Spätmittelalter die marianischen Kommemorations- bzw. Schlussantiphonen, von denen z. B. mehr als 35 im Vorauer Antiphonale, Vorau Hs. 287, stehen. Ein Juwel ist die Sequenz von Petrus Abelard Epithalamica Cantica, welche Texte des Hoheliedes mit der Auferstehung Christi und dem Osterfest in Verbindung bringt. Zahlreich sind auch jene Gesänge, die Maria als Fürsprecherin und Helferin anrufen.
Univ.-Prof. Dr. Franz Karl Praßl
ist Liturgiewissenschaftler und emeritierter Professor für Gregorianik und Geschichte der Kirchenmusik an der Kunstuniversität Graz und lehrt seit 2011 auch am Pontificio Istituto di Musica Sacra in Rom.